| Titelseite
| Autor
| artmetic
DORNTORUS (1)
DORNTORUS 2
Und jetzt - paß auf, Michel! - jetzt will ich die erste Katze aus dem Sack lassen - nein, nicht die berühmteste, die werde ich erst sehr viel später
befreien -, jetzt will ich die erste physikalische Interpretation verraten:
Die Linie "t", die Symmetrieachse der ineinander geschachtelten Dorntori, die Seele des von der Spinndüse S gesponnenen Fadens, die
Zahlenmenge, die die Leere immer und immer wieder durchzählte, die imaginäre Koordinate des komplexen Torusraumes (!), das ist ... die Zeit! Unser Jojosystem Dorntori rollt sich an der Zeit ab! Mit der Geschwindigkeit c.
Mit Lichtgeschwindigkeit, Katze Nr. 2!
Katze Nr. 3: Die einzige reelle Zahl, die die Leere versehentlich gezählt hatte, ist später in die Geschichte eingegangen - als "Plancksches Wirkungsquantum". Sie ist der
Betrag, um den sich die Leere bei ihrem kurzen Stutzen bei 0,0072973527...(i) gedreht hatte.
Hier muß ich den Brief an Michel Dominetti unterbrechen, den ganzen Rest verwerfen bzw. umformulieren, denn seit
meiner Rückkehr aus Australien haben sich die Ereignisse überschlagen. Sie betreffen die Katze Nr. 4. Mit Mühe und Selbstbeherrschung hatte ich sie schon vor Jahren in den Sack gesperrt und dort gut verschnürt schmoren lassen. Damals war
sie ein junges unscheinbares Kätzchen, von dem ich allerdings schon annahm, daß es sich entwickeln und bei guter Fütterung zu einem stattlichen Tier heranwachsen werde. Ich ahnte, und jetzt weiß ich es: hätte ich sie früher freigelassen,
wäre mir der stille Genuß meiner einsamen, spannenden Entdeckungsreise versagt geblieben. Jetzt habe ich ausgiebig genossen und mir ein anderes Projekt vorgenommen. Ich will dem wilden Zappeln und lauten Schreien nachgeben, hoffend, daß
sie zu zähmen ist und sich nicht als wilde Bestie entpuppt. Also, ich wag's, öffne den Sack, lasse die Katze heraus. Es ist ein Kater! Ein gestiefelter. Mit seinen 7-Lichtjahr-Stiefeln wird er vermutlich von einem Physikalischen Institut
zum andern springen wollen, auf jedem Schreibtisch, jedem Bildschirm, jeder Faxmaschine mit dem Abdruck seiner Sohlen den Stempel zu hinterlassen:
RÄTSEL DER FEINSTRUKTURKONSTANTE GELÖST
Das Kraftfutter, mit dem ich ihm schließlich zu seiner jetzigen Größe und seinem unbändigen Freiheitswillen verholfen habe, werde ich anschließend beschreiben, vorab dieser 7-Lichtjahr-Gedankensprung: Das kleine, unscheinbare
Kätzchen war die intuitive Vermutung, daß die Abrollinie eines aus der Ferne ankommenden, also kleiner werdenden Dorntorus abrupt abbricht, wenn der Torus auf einen kongruenten trifft und beide die gleiche Lissajous-Figur aufweisen. Das
Fehlen der gesamten restlichen Abrollinie hatte ich damals als „Ladung“ interpretiert, das Abbrechen selbst als Absorption eines Photons an einem Elektron, wie ich es ja schon in dem Brief an Michel einmal kurz andeutete. Und jetzt hat
sich herausgestellt: die Länge der Abrollinie ab dem Torus der Meridianlänge 2 und mit dem Verhältnis von Umdrehungs- und Rotationgeschwindigkeit v = 1/2 bis hinunter zu infinitesimal kleiner Größe und v = unendlich , dieses Kurvenintegral
konvergiert gegen einen festen Wert: 11,706. Das Verhältnis Plankscher zu Elementar-Ladung oder für ħ
· c = 1 der Kehrwert der Elementarladung selbst. Dessen Quadrat ist die Zahl, die der Leere einst zum Verhängnis wurde. Sie heißt auch Feinstrukturkonstante. Kurz α
.
Der Weg zu dieser Erkenntnis ist erzählenswert:
A wie Adlerhorst, wie Abrollinie und A wie Alpha
zurück
Bald nach meiner Rückkehr aus Australien flog Orchidee zu Familienbesuch für ein paar Monate nach Deutschland. Ich widmete meine Zeit notwendigen
Wartungsarbeiten am Schiff, meinen Dorntori, mehreren Treffen mit Spicer Wood in Puercallis, gelegentlichen sozialen Kontakten zu anderen Seglern, aber auch einsamen Streifzügen durch die Insel. Trotz Spicers Warnung besteige ich noch
einmal den Adlerhorst. Jetzt, mit frischer Erinnerung versehen, ist sofort klar: das Plateau ähnelt in auffallender Weise dem Mt. Beerwah. Alles drum herum ist grundverschieden, nur die Gipfel sind gleich. Selbst die Übereinstimmung der
Feuerstellen mit jeweils einem Widderhorn darin - einfach unglaublich. Dort war es ein linkes, hier ist es ein rechtes. Es liegt noch da in den Scherben. Ich nehme es in die Hand, drehe und wende es. Es ist kein schönes Exemplar, nicht im
entferntesten vergleichbar mit Michels Gehörn in Solmeto. Jenes war von bestechender Symmetrie, jedes Horn mehrfach spiralig verwunden. Dieses hat nur die Andeutung der Spirale. Im Geist setze ich die Linie fort. Wie lang es wohl werden
würde, lebte das Schaf sehr, sehr lange, sagen wir 1000 Jahre? Würde die Spiralstruktur zunehmen und damit die Länge begrenzt bleiben? Belustigt sehe ich eine Analogie zu der Abrollinie meiner Dorntori, bei denen die Spirale bei Annäherung
an infinitesimal kleine Größe mehr und mehr in Schlaufen übergeht, die sich unendlich dicht an Punkt S und den Dorn legen. Aber kann denn die Länge unendlich vieler Schlaufen begrenzt bleiben? Einen Moment fixiere ich mich an dem Gedanken
und schon durchzuckt es mich wie ein elektrischer Stromstoß. Ich springe auf, werfe das Horn zurück in die Scherben, rase los. Wild schlage ich mit der Machete um mich, krieche, rutsche, springe, falle. . . . Ich weiß nicht mehr, welchen
Weg ich nahm, aber ich erreiche die Stufen und Hohlgassen, die von unten her so undurchdringlich waren. Mit verzweifelten Schlägen hacke ich alles nieder, treffe den Stein, daß die Funken sprühen, zwänge mich durch Astgewirr und
Dorngesträuch - spüre keinen Schmerz. Ich komme unten an, renne weiter zum Bootssteg. Ein Einheimischer sieht mich, ruft mir zu: „Hey, man, you'd a struggle, need help?“ Jetzt erst registriere ich: Hose zerrissen, Hemd in Fetzen, ich
schweißtriefend, blutend. Ich rufe ein „Thanks, all o.k.“ zurück, springe ins Dingi, werfe den Außenborder an. Nach ein paar Metern bleibt er schlagartig stehen. Die Leine ist in die Schraube geraten. Ich nehme die Ruder, rudere wie wild.
Nach wenigen Zügen bricht eine Dolle. Samt Kleidern springe ich ins Wasser, es ist ja nicht weit zum Schiff. Sofort fangen die Wunden mächtig an zu brennen im Salzwasser. Mit dem Beiboot im Schlepp erreiche ich das Schiff, binde eine neue
Leine ein und, kaum abgetrocknet, fange an zu zeichnen und zu rechnen. Ein Dutzend Blatt Papier verschreibe ich, bis zum Schluß nur noch eine partielle Differentialgleichung dasteht. Mist! Die kann ich nicht lösen. Ich gehe alles nochmal
durch, diesmal ganz langsam und konzentriert, aber es ist nichts zu machen, die Differentialgleichung bleibt eine partielle, die ich nicht lösen kann. Bleibt nur ein Näherungsverfahren mit dem Rechner. Das Programm ist einfach, besteht nur
aus wenigen Zeilen, nach 20 Minuten läuft es wie es soll. Aber der Rechner kriecht mit seinen 75 MHz immer langsamer werdend der Abrollinie entlang - die ausgespuckten Werte ohne Aussage. Ich schreibe das Programm um, optimiere die
Rechenschritte auf Zeiteinsparung, verzichte auf Bildschirmausgabe, lasse jede Minute die Zwischenwerte automatisch in eine Datei schreiben und starte das Programm neu. Jetzt ist nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu tun. Ich sinke
erschöpft auf die Couch. Es ist gleich Mitternacht und ich habe seit dem Frühstück nichts gegessen und kaum getrunken. Ausgiebig hole ich alles nach während der Rechner rechnet und rechnet. Nach zwei Stunden fängt er an zu piepsen - zu
geringe Spannung im Bordnetz. Ich vergewissere mich, daß die Werte ordentlich gespeichert sind und schalte ab.
Ausnahmsweise stehe ich früh auf. Der Windgenerator hat über Nacht für reichlich Energie gesorgt und so ist meine
erste Tat des neuen Tages, den Rechner einzuschalten - noch vor dem Zähneputzen. 1.Juni, 06.30 Uhr ist seine erste Meldung - gestern war also der 31.Mai. Wo der Komet wohl gerade steht? Natürlich steht er vor Vieux Baron. Aber unwichtig.
Was mich interessiert sind die Werte. Eigentlich weiß ich es seit zwei Jahren, aber auf die Idee, es auszurechnen, nein, darauf bin ich nicht gekommen. War es die unbewußte Angst vor der Enttäuschung? Oder das zwanghafte Denken, sich das
Beste und Schönste noch aufheben zu müssen? Dabei liegt es so nahe, drängt sich geradezu auf, im Nachhinein betrachtet. Bin ich denn so bescheuert, daß mich erst ein häßliches, halb vergammeltes Widderhorn darauf stoßen muß? 11,706
. Hier steht es schwarz auf weiß. Vielfach hintereinander. Die Werte konvergieren gegen die reziproke Elementarladung! 11,706, bei ħ · c = 1. Quadriert 137,03. Eins durch Alpha
! Die Feinstrukturkonstante α. Der erste Wert, den ich diesem verdammten Hirngespinst entreiße, ist das wichtigste
Rätsel der Physik. Ich lasse ein Diagramm ausdrucken. Abrollinienlänge gegen v. Bis knapp 80000 kam der Rechner bevor er streikte. Eine etwas seltsame Kurve: senkrechter Anstieg, nicht ganz ebenmäßiger Verlauf. Sieht auf den ersten Blick
aus wie eine logarithmische Kurve, aber sie läuft horizontal aus, hat einen Grenzwert. Die Kurve gefällt mir nicht, aber sie steigt nur bis 11,706. - Ich schalte den Rechner ab, frühstücke in aller Ruhe. Der Bedeutung werde ich mir wohl
bewußt, ich müßte Freudensprünge machen. Aber ich tu's nicht. Ich schalte auch meine Gedanken ab, widme mich Nebensächlichkeiten. Irgend etwas stört mein Glück.
Zwei Tage später nehme ich die ausgedruckte Kurve nochmal zur
Hand. Warum ist sie nicht stetig, wie ich es erwartet hatte? Ja, gut, der Wert 11,706 müßte Grund genug sein zur Freude - er allein ist schon sensationell, aber wie kommen diese unschönen Knicke im Verlauf zustande? Meine
Iterationsfunktion ist doch extrem einfach, nur aus stetigen Operationen zusammengesetzt. Und ich habe doch mit 16 Stellen gerechnet, es können keine durch Rundung entstandene Unstetigkeiten sein. Auch die mit ausgedruckten Werte für die
Differentiale, die Iterationsschritte, verändern sich doch auch ohne erkennbare Sprünge oder Stillstände. Was steckt dahinter?
Ich optimiere das Programm weiter, kann die Rechengeschwindigkeit noch steigern durch einen
zufällig entdeckten Trick: Offenbar wartet der Prozessor oder Display-Controller beim Durchlaufen der DO-Schlaufe jedesmal auf eine Anweisung für den Bildschirm, legt also eine winzige Pause ein, bevor weitergerechnet wird. Ich baue eine
Verzweigung zu einem Unterprogramm ein, das eine Linie auf den Bildschirm zeichnet. Millionenfach dieselbe Linie. Mache ich aber das Unterprogramm zu einfach, funktioniert es nicht, es müssen Funktionen, z.B. trigonometrische, enthalten
sein. Möglicherweise wird dadurch auch der Coprozessor aktiviert, der bei der extrem einfachen Funktion in der DO-Schlaufe sonst nicht benötigt wird. Hier, am Ende der Welt, muß man sich alles selbst mühsam erarbeiten. Es gibt niemanden,
den man schnell fragen könnte, man hat keinen Zugang zu Literatur oder anderen Informationsquellen - aber gerade das ist es ja, was die Dinge so spannend macht. Wie dem auch sei, jedenfalls konnte ich die Rechengeschwindigkeit
vervierfachen und dadurch bei gleicher Rechenzeit (Bordenergie ist ja begrenzt!) den Torus mit kleineren Differentialen drehen lassen.
Das schließlich auszudruckende Diagramm vergrößere ich über mehrere Blätter. Ganz langsam
lasse ich die Kurve aus den vielen hundert Werten aufbauen, um ein Gefühl für die Dynamik zu erhalten. Wieder die Knicke! Und die Kurvenstücke dazwischen sind Geraden. Dann halte ich die Luft an: Die Gerade läuft mit spitzem Winkel auf den
Grenzwert zu, den sie doch nur asymptotisch erreichen soll. Gleich schneidet sie die vorher eingezeichnete Linie beim Wert 11,7. Nein!! Ich traue meinen Augen nicht. Die Gerade knickt unmittelbar vor Erreichen dieses Wertes abrupt in die
Horizontale ab. Das gibt's doch nicht! Ich weiß nicht, ob ich mir die Haare raufen oder Luftsprünge ob dieser Entdeckung machen soll. Ich entscheide mich für die Freude, entscheide mich dafür, diese Kurve als Sensation zu betrachten. Die
Knicke sind Naturkonstanten! Und es sind stabile Werte. Ich kann getrost recht grobe Differentiale wählen. Schon 5° „differentielles“ Weiterdrehen des Torus pro Schritt führt zu den Konstanten. Es sind Attraktorwerte! Die Kurve ist eine
Attraktorkurve! Noch nie habe ich eine so häßliche Kurve so attraktiv gefunden. Ich stoße Freudenschreie aus. Niemand hört mich. Auf der kleinen Insel vor mir wohnen nur ein paar Pelikane und Fregattvögel.
Die
Rechenvorschrift will ich nicht vorenthalten. Sie ergibt sich ganz einfach aus dem einzigen diskutierten Prinzip konstanter Abroll- und Rotationsgeschwindigkeiten und der Dorntorusgeometrie - genauer: der Geometrie in unmittelbarer kleiner
Umgebung von S (wie der Torus 'weiter draußen' aussieht, ist völlig unerheblich!):
- Variablen als genau deklarieren, z.B. 16 Stellen (8 Stellen für das gesuchte A)
- Wahl eines Differentials dφ, z.B. 5 Grad (im Bogenmaß natürlich)
- Ausgangswert für Meridianlänge: L = 2 (entsprechend v = 1/2 - Intuition, da ist scharfe Resonanz)
- Hilfsgröße dt = dφ/2π (konstant)
- Hilfsgröße k = (1 - cos dφ)² (konstant)
- Iteration:
DO
dL = L · dt (Abnahme der Meridianlänge)
dA = dL · (1 + k · L^2)^0.5 (Zunahme der Abrollinienlänge)
L = L · (1 - dL) (neue Meridianlänge)
A = dA + A (neue Abrollinienlänge)
LOOP WHILE . . (Exitfunktion und Interrupt für Werte-Output)
That's it! Die Kurve, deren Länge man damit berechnet, ist die Zykloide eines abrollenden und gleichzeitig kreiselnden Rades, das sich so verkleinert, daß kein 'Schlupf' am Auflagepunkt entsteht.
Dieses Luder !
Hat sie mich wieder eingefangen. Vorbei der prickelnde Reiz. Vorbei die Spannung. Soll wohl wieder arbeiten für sie? Denn was jetzt folgt, kann nur Arbeit bedeuten . . .
Aber ich mag sie - meine erste Liebe - trotz allem - immer noch - meine Physik
. . . und hier beginnt auch gleich die Arbeit - mit Gedanken, Bildern, Zahlen . . . :
Die etwas mehr ins Detail gehende Ausarbeitung des Dorntorus-Verhaltens ergibt sich ab hier - mit dem bisher Angesprochenen -
fast von selbst. Wonach ich auch suche, wo immer ich ansetze - irgendwo im Modell finde ich stets ein dem Thema der Fragestellung assoziierbares Verhalten. Zunächst - ohne Mathematik - als Bild, in einigen Fällen, die sich mit meinen
bescheidenen Kenntnissen und Möglichkeiten rechnerisch angehen lassen, auch als Zahlenwert. Zur Verifizierung sollen diese wenigen Fälle (ich werde einige mehr ansprechen) vorerst genügen. Wichtiger, da unabdingbar für den mathematischen
Ansatz, ist der Dorntorus selbst, als Denkmodell zur Vorstellungshilfe. Ich will deshalb weiter in der bildhaften Ebene verharren und einige Punkte zur Anschauung und Assoziationsbildung hinzufügen. Wobei es auch hier in keiner Weise auf
Systematik oder logischen Aufbau ankommt - im Gegenteil: ein Bild wird durch häufigen Wechsel des Blickwinkels schneller und genauer erfaßt.
zurück
weiter mit ”Gedanken zur Zeit ...”
| Titelseite
| Autor
| artmetic